Mindestens jeder fünfte Seniorenheim-Bewohner leidet unnötig unter Sehbeeinträchtigungen
Etwa 32 Millionen Mal pro Jahr suchen Patienten in Deutschland die bundesweit 5.500 niedergelassenen Augenärzte auf. „Damit behandeln Ophthalmologen nach Hausärzten und Gynäkologen die meisten Patienten“, erklärt Professor Dr. med. Horst Helbig, Präsident der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Zugleich wird der augenärztliche Bedarf aus demographischen Gründen in den nächsten zwei Jahrzehnten um zwanzig Prozent steigen – bereits jetzt leidet jeder fünfte Bewohner eines Seniorenheims unnötig unter Sehbeeinträchtigungen, wie erste Erhebungen zeigen. Was das für die Forschung bedeutet, diskutieren Experten auf dem 114. Kongress der DOG unter dem Motto „Augenheilkunde – ein großes Fach“. Dort stellen Forscher unter anderem neue Therapieansätze für die altersabhängige Makuladegeneration (AMD), den Grauen und Grünen Star vor. Der Kongress findet vom 29. September bis 2. Oktober 2016 in Berlin statt.
Von Erkrankungen am Auge sind achtzehn Millionen Deutsche betroffen. Knapp ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland ist kurzsichtig, unter Grauem Star – einer Trübung der Augenlinse – leiden schätzungsweise zehn Millionen Menschen, unter altersabhängiger Makuladegeneration rund 2,5 Millionen. „Das bedeutet zugleich, dass die Operation des Grauen Stars mit jährlich 700.000 Eingriffen die weitaus häufigste Operation in Deutschland ist“, so Helbig. Auf eine ähnliche hohe Zahl bringt es die operative Medikamenten-Eingabe in das Auge bei AMD. Zum Vergleich: Blinddarm-Operationen finden 150.000 Mal statt, der Einsatz künstlicher Hüften 200.000 Mal. „Augenoperationen zählen zu den mit Abstand häufigsten Eingriffen in Deutschland, Augenleiden sind Volkskrankheiten“, betont DOG-Präsident Helbig.
Und deren Behandlungsbedürftigkeit wird nach Einschätzung der Experten vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung weiter zunehmen. „Wir gehen von einem Anstieg von zwanzig Prozent in den nächsten zwanzig Jahren aus“, erklärt Helbig. Um Bedarf und Ressourcen besser abschätzen zu können, hat die Stiftung Auge daher eine Stiftungsprofessur für Versorgungsforschung ausgeschrieben. „Wir wollen herausfinden, was von den therapeutischen Möglichkeiten, die wir haben, tatsächlich bei den Patienten ankommen“, sagt Helbig. „Es besteht heute Konsens darüber, dass die Verhinderung von Sehverlust im fortgeschrittenen Alter extrem wichtig ist, um Selbständigkeit und Teilhabe zu erhalten – das ist nicht zuletzt auch volkswirtschaftlich kosteneffizient.“
Dass schon heute eine Unterversorgung bestehen dürfte, lässt eine kürzlich publizierte Erhebung unter den Bewohnern von sechs Seniorenheimen vermuten. „Jeder fünfte Bewohner war augenärztlich akut behandlungsbedürftig“, so Helbig. So ergab die Stichprobe, dass 45 Prozent mit ihren vorhandenen Sehhilfen nicht mehr lesen konnten, knapp die Hälfte litt unter nicht diagnostiziertem Grauem Star, bei jedem fünften lag eine trockene AMD vor, fast 80 Prozent wiesen eine behandlungsbedürftige Bindehautentzündung auf. „Nur die Hälfte der Bewohner gab an, in den zurückliegenden fünf Jahren beim Augenarzt gewesen zu sein“, erläutert Helbig.
Den Grauen Star operieren Augenchirurgen schon seit langem erfolgreich. „Aktuell werden die Techniken immer ausgefeilter, worüber wir auf dem Kongress ebenfalls diskutieren wollen“, berichtet Helbig. Weitere Fortschritte in der Behandlung häufiger Augenleiden: Die Erblindungsrate bei feuchter Makuladegeneration konnte dank Medikamenten-Eingabe ins Auge deutlich reduziert werden, neue Behandlungskonzepte mit länger wirksamen Medikamenten oder einer Gentherapie liegen vor. „Auch für die trockene Makuladegeneration, die bisher nicht behandelbar war, gibt es jetzt erste hoffnungsvolle Therapieansätze“, berichtet Helbig. Für den Grünen Star sind ebenfalls neue Operationstechniken auf dem Weg.
Neue Entwicklungen zur Therapie dieser Volkskrankheiten sowie die Notwendigkeit verstärkter Versorgungsforschung sind zwei der Schwerpunktthemen auf der DOG 2016.
Augen-Untersuchung in Pflegeheimen:
https://www.aerzteblatt.de/pdf/113/18/m323.pdf?ts=29.04.2016+08%3A22%3A57
Quelle:
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG)
http://www.dog.org